Mittwoch, 27. April 2022

Waffenlieferungen: ja oder nein?




Derzeit wird heiß diskutiert, ob Deutschland/Europa/der Westen/die NATO Waffen an die Ukraine liefern soll, damit diese sich gegen Russland verteidigen kann.

Die einen sagen etwa: "Ja, wir müssen die Ukraine unterstützen, um den Aggressor zu stoppen."

Die anderen sagen etwa: "Waffenlieferungen verlängern den Krieg und bergen das Risiko, daß man als Kriegspartei hineingezogen wird und daß sich dieser Konflikt ausbreitet, bis hin zu einem atomaren Weltkrieg."

Und beide Seiten haben ihre Begründungen, die man durchaus nachvollziehen kann.

Die grundlegende Frage dabei ist doch: was geht uns dieser Krieg eigentlich an? Sind wir betroffen? Sollen wir uns da "engagieren"? Und wenn ja, warum und wenn nein, warum nicht?

Und aus diesen Fragen ist die für mich die entscheidende: sind wir betroffen?

Zunächst gibt es keinerlei Bündnisverpflichtung mit der Ukraine. Nicht durch die NATO und auch indirekt nicht durch die EU.

Die Ukraine ist ein Handelspartner, verlängerte Werkbank und Transitland für russisches Gas und Öl. Von diesen Einnahmen bleibt übrigens im Land so wenig hängen, daß die Ukraine das Armenhaus Europas ist.

All das würde sich wahrscheinlich nicht dramatisch ändern, wenn Russland diesen Konflikt schnell für sich entscheidet.

Also warum sollten wir uns dann trotzdem engagieren? Nun, man könnte der Meinung sein, daß man ja nicht einfach zulassen kann, daß ein Land das andere überfällt und man das Opfer unterstützen muss.

Wenn man dieser Meinung ist, dann fehlen mir allerdings irgendwie seit ein paar Jahren die Rufe nach Waffenlieferungen an den Jemen, der von Saudi-Arabien und einer Allianz aus "befreundeten" Staaten tatsächlich fast in die Steinzeit zurück gebombt wird. 

Denn wenn das Prinzip gelten soll, daß man es nicht zulassen darf, daß ein Staat den anderen angreift, dann muss das universal gelten, ansonsten ist das Prinzip wertlos! 

Auch bei vielen anderen Kriegen der Vergangenheit, üblicherweise angefangen durch die USA/NATO gab es diese Forderungen nach Waffenlieferungen nicht in der massiven Form wie jetzt! Hat irgendwer gefordert, Serbien, Afghanistan oder Syrien oder den Irak mit Waffen zu beliefern, damit diese sich gegen die NATO/die USA/die islamischen Terroristen verteidigen können?

Mag sein, daß das irgendwer gefordert hat, aber die Amplitude ist wohl kaum vergleichbar mit dem medialen Echo im jetzigen Konflikt.

Also entweder das Prinzip gilt oder es gilt nicht. 

"SELEKTIV" in ausgewählten Konflikten Waffenlieferungen zu fordern mit dem Argument, man müsse halt einem Aggressor etwas entgegensetzen, ist kein Prinzip, sondern mehr eine Agenda.

Außerdem: wenn man wirklich ernsthaft ein Land unterstützen möchte, daß sich gegen einen Angreifer verteidigen will, dann muss man das auch richtig machen und nicht die eigenen ausgemusterten Waffen (teilweise Jahrzehnte alt und noch aus NVA-Beständen) einfach loswerden und danach sein eigenes Arsenal mit neuen Waffen befüllen. Man muss das Land in die Lage versetzen, dem Angreifer auch wirklich etwas entgegensetzen zu können. Und wir reden hier vom Gegner Russland!

Ohne Waffenlieferungen ist die Ukraine nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Mit halbherzigen Waffenlieferungen aber auch nicht, zumal die Hälfte dieser Lieferungen wahrscheinlich in dem Moment von russischen Raketen zerstört werden wird, sobald sie ukrainisches Territorium erreichen. Wenn selbst Privatpersonen mit ihren Handys die Waffentransporte gen Osten verfolgen, dann kennen die Russen wahrscheinlich die Seriennummer jedes einzelnen Panzers auf so einem Zug!

Der Rest der Waffen wird dann später zerstört, während der Westen noch versucht, den Ukrainern diese Waffen zu erklären.

Also so, wie der Westen das jetzt angeht, ist diese "Unterstützung" von vornherein zum Scheitern verurteilt. Selektive Lieferung von einer überschaubaren Anzahl von Waffen hilft niemandem, sondern verlängert nur den Krieg!

Also diese Argumentation, daß man prinzipiell das Opfer eines Angriffs mit Waffenlieferungen unterstützen muss, ist für mich eher Heuchelei, denn es fehlt völlig an gleichlautenden Forderungen in der Vergangenheit. 

Und ganz ehrlich: mir ist es scheißegal, wenn sich zwei andere Länder bekriegen. Ich habe das nicht verursacht, ich gebe keinen Schuss dabei ab und ich kann das Problem nicht lösen. Es sind Staaten und Regierungen, die Kriege führen und ich kann keinen einzigen verhindern.

Also muss es einen anderen Grund geben, sich in diesem Konflikt zu "engagieren". Das wäre der Fall, wenn man meint, daß man selbst direkt oder indirekt bedroht wäre. Was könnte das sein? 

Nun, das wäre der Fall, wenn man der Meinung ist, daß Russland in der Ukraine nicht halt macht und sich danach Polen und das Baltikum vornimmt. Oder gar Finnland oder Schweden und dann Deutschland.

Wer dieser Meinung ist, der muss tatsächlich auch fordern, die Ukraine zu unterstützen. Nur dann gilt das mit der sinnvollen, wirksamen Unterstützung noch viel mehr und das müsste dann sogar den Einsatz von Bodentruppen einschließen oder gar einen direkten Angriff auf Russland.

Okay, wer so denkt und Russland als diese Gefahr ansieht, muss das konsequent zu Ende denken. Allerdings könnte man sich auf so einen weiteren Angriff Russlands auch anders vorbereiten als durch die Unterstützung der Ukraine. Warum jetzt die eigenen Waffen abgeben, wenn man sie zur Verteidigung später braucht?


Man kann auch der Meinung sein, daß dieser Konflikt zwischen Russland und der Ukraine uns nichts angeht und wir versuchen sollten, Verhandlungen und friedliche Lösungen zu finden, denn irgendwann wird auch dieser Krieg vorbei sein und man wird wieder miteinander reden müssen und auch Handel treiben. Russland wird ja nicht von der Weltkarte verschwinden. 

Und man kann nämlich auch zu der Einschätzung gelangen, daß es Russland nur um "Ruhe" vor der eigenen Haustür geht. Also daß Russland nun die geopolitische Reißleine gezogen hat bei dem, was sie seit Jahrzehnten sagen: kommt uns nicht noch näher. Und daß Russland keineswegs vor hat, nach der Ukraine die NATO direkt anzugreifen.

Und wenn man zu dieser Einschätzung kommt, basierend auf den Ereignissen der letzten Jahrzehnte, basierend auf Äußerungen von Fachleuten, die in den letzten Jahrzehnten im geopolitischen "Betrieb" aktiv waren, basierend auf der seit Jahrzehnten bekannten ersten Prämisse amerikanischer Außenpolitik (nämlich Russlands Position in Eurasien zu schwächen und eine Annäherung an Westeuropa zu verhindern), basierend auf den tatsächlichen wirtschaftlichen und innenpolitischen Problemen Russlands, basierend auf Äußerungen der russischen Regierung, dann macht einen das nicht zu einem "Putin-Troll" oder einem "Stiefellecker" oder einem "Steigbügelhalter von Faschisten" oder gar zum Faschisten selbst! Man ist schlicht zu der Einschätzung gekommen, daß es unwahrscheinlich ist, daß Russland über die Ukraine hinaus militärisch aktiv wird. Zu dieser Einschätzung kann man kommen.

Diese Einschätzung mag naiv oder gar falsch sein, man kann sich damit irren, aber deswegen ist man kein "Putin-Troll", so wenig wie die, die Russland als Bedrohung für Europa ansehen, "Biden-Trolle" oder "Selensky-Fanboys" sind! Oder "BoJo-Fanboys" oder gar welche von Macron.

Und damit bin ich bei einem anderen, sehr ärgerlichen Thema im Zusammenhang mit diesem Konflikt. Und das zeigt einmal mehr, daß viele Leute nicht mehr in der Lage sind, sachlich Meinungen auszutauschen, ohne den anderen zu beschimpfen oder verächtlich zu machen.

Gerade dieser Konflikt ist eine Sache, wo man seine Meinung haben kann, ohne daß das irgendwas an diesem Konflikt ändert und ohne daß das eine negative Auswirkung auf jemanden mit der entgegengesetzten Meinung hätte.

Man könnte hier theoretisch sehr gut die Geschichte der letzten Jahrzehnte in Europa, oder auch menschliches Verhalten allgemein oder das zerstörerische Handeln von Staaten und Regierungen diskutieren... es würde an diesem Konflikt tatsächlich nichts ändern. 

Man könnte Dinge dazulernen aus der Vergangenheit, die man noch nicht wusste, man könnte versuchen, sich ein größeres Bild zu machen und selbst wenn man den anderen nicht überzeugen könnte oder auch selbst nicht überzeugt werden kann, dann ändert das gar nichts daran, daß dieser Konflikt weiter stattfindet. Denn ob ich nun der Meinung bin, daß man Waffen liefern soll oder nicht, ändert an der Menge der geleiferten oder nicht gelieferten Waffen nichts. Und auch nichts am Ausgang des Konfliktes.

Man könnte also sachlich Argumente austauschen und versuchen, etwas dazuzulernen.

Stattdessen beschimpft man sich und hängt dem anderen Label an, die ihn quasi zum Unmenschen oder kompletten Idioten abstempeln. Und das sogar unter Leuten, die sich seit Jahren entweder persönlich oder aus sozialen Medien kennen, die sich seit Jahren schätzen, die an sich gemeinsame Überzeugungen zum Leben haben, zu Staaten, zu Freiheit, dazu, wie sich Menschen am besten, friedlichsten und ökonomisch wertvollsten organisieren sollten. All das zählt auf einmal nichts mehr, weil man zu einer anderen Einschätzung über die Bedrohung Deutschlands durch Russland kommt. Und man ist dann eben nicht einfach jemand mit einer anderen Einschätzung, sondern man ist ein "Troll" oder "Stiefellecker" usw.

Daß man diese "Diskussionskultur" unter Leuten findet, die sich generell nicht mögen und auf verschiedenen Seiten des politischen Spektrums unterwegs sind, kennt man bereits. Nicht zuletzt durch die sozialen Medien!

Aber daß nicht mal Leute zu sachlichem Austausch in der Lage sind, die ansonsten eine weitestgehende Übereinstimmung in der Sicht auf's Leben haben, ist schon bemerkenswert.

Die Menschen sind eben doch aus "krummem Holz", wie Kant metaphorische bemerkt hat.




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