Dienstag, 9. August 2022

"Opferlose Vergehen" oder "Der Staat, Dein fürsorglicher Freund"

Der Staat kümmert sich um Dich. Ob Du willst oder nicht.

Überall, wo er eine Gefahr für den unmündigen Bürger wittert, schreitet er ein und will den Bürger vor Unheil beschützen. Mit Gesetzen und Verboten. Und auf keinen Fall, wirklich auf gar keinen Fall sind die Sanktionen bei Verstoß gegen Gesetze und Verbote - also die Geldbußen - der Grund für die Gesetze und Verbote. Nur ein Anti-Demokrat oder gar ein "Reichsbürger" würden dem Staat so niedere Absichten unterstellen.

Das Verbot, am Steuer eines PKW zu telefonieren, also mit dem Handy in der Hand, ist ein solches Beispiel. Nachdem 2017 die Strafen für die verbotene Nutzung erhöht wurden (zur Zeit werden bis zu 2 Punkte in Flensburg, 200 Euro und ein Monat Fahrverbot fällig), erprobt jetzt das Land Rheinland-Pfalz ein Verfahren, das in den Niederlanden bereits angewendet wird. Man sieht, der Staat ist überall fürsorglich und kreativ.

Darüber berichtet die Auto-Bild in einer ihrer letzten Ausgaben.




"Hochauflösende Monocam"-Kameras sind oberhalb der Fahrbahn - zum Beispiel auf Autobahnbrücken - angebracht. Sie sind schräg nach unten gerichtet, sodass sie durch die Frontscheibe in das Auto hineinfotografieren können. Die Kameras sind mobil einsetzbar und arbeiten auch bei Regen oder Schnee.

Das System erkennt Mobiltelefone im Bereich des Fahrers/der Fahrerin und die Handhaltung. Ist beides verdächtig, löst die Kamera aus. Anschließend werten geschulte Polizisten die Bilder aus, denn nicht alle Aufnahmen seien eindeutig..."

Der Staat scheut also weder Kosten noch Mühen, um unser Leben sicherer zu machen.

Und wofür?

Auf den ersten Blick erscheinen diese Verbote ja durchaus sinnvoll. Wer nicht auf die Straße schaut, kann nicht rechtzeitig reagieren, wenn es gefährlich wird. Schließlich lenkt der Blick auf's Handy ja ab und natürlich darf der Hinweis auf den "Blindflug" nicht fehlen. Wenn man bei 50 km/h 1 Sekunde auf's Handy schaut, fährt man 14 Meter ohne Blick auf die Fahrbahn. "Blindflug".

"Blindflug" klingt ziemlich schlimm und erfüllt wahrscheinlich bei den meisten seinen Zweck. Aber mal ehrlich: jeder, der Auto fährt und sein Auto im Griff und die Verkehrssituation im Blick hat, schaut ständig während der Fahrt mal von der Fahrbahn weg. Auch gern mal länger als eine Sekunde. Häuser, Geschäfte, andere Autos, schöne Frauen oder Männer am Straßenrand oder auch hässliche und skurrile Menschen, Hunde, die einem gefallen, Werbeplakate... es gibt unzählige mögliche Gründe, weshalb sich Autofahrer ständig ablenken lassen und nicht permanent auf die Fahrbahn starren. Selbst das Gespräch mit dem Beifahrer lenkt ab oder Kinder im Auto, nach denen man sich umdreht. Und immer ist man ein paar Sekunden im "Blindflug" unterwegs.

Die einzigen, die eigentlich permanent auf die Fahrbahn starren sind die, die fest eingeklemmt im Gurt und völlig verspannt hinter ihrem Lenkrad "eingepfercht" sind und denen man das Unwohlsein beim Fahren schon ansieht. Und diese Leute würden nie auf die Idee kommen, während der Autofahrt, die schon die gesamte Hirnkapazität benötigt, noch die Ablenkung eines Handys hinzuzufügen. 

Verboten ist ja schon das Halten des Handys in der Hand. Also wenn man nur eine Hand am Lenkrad hat. Die einzigen, die ständig beide Hände am Lenkrad haben, sind die eben beschriebenen, völlig verkrampften Autofahrer, die mit starrem Blick noch vorn glotzen und sich am Lenkrad eher festhalten, als damit das Auto zu steuern.

Wenn es danach geht, daß man beide Hände am Lenkrad haben soll, dann müsste jeder Autofahrer, der den linken Arm entspannt auf der Innenverkleidung der Tür liegen hat und das Auto mit nur einer Hand steuert, schon etwas "Verbotenes" tun. Oder essen während der Fahrt. Geht auch nur, wenn man nur eine Hand am Steuer hat. Ist aber erlaubt. Das Handy dagegen nicht.

Ich fahre fast täglich Auto und fast täglich sehe ich Leute, die telefonieren oder Nachrichten lesen/schreiben. Und meistens fahren diese Leute langsamer und halten größeren Abstand. Das nervt zwar, aber eine Gefahr sind diese Leute nicht.

Und es gibt eben Menschen, die können während der Fahrt telefonieren und Nachrichten schreiben und es gibt welche, die können es nicht. Und letztere werden es irgendwann selbst bemerken und es lassen.

Ich kenne sogar Leute, die sind durch das bloße Gespräch mit dem Mitfahrer oder ein Telefonat, selbst mit einer Freisprechanlage abgelenkt und fahren unkonzentrierter oder langsamer und (über)vorsichtiger als sonst.

Aber mal ehrlich: wie oft passiert es, daß das Auto vor einem plötzlich so stark bremst, daß man einfach drauffährt, weil man nicht permanent auf die Straße geglotzt hat? In meinen mehreren Jahrzehnten des Autofahrens ist da nicht ein einziger Fall zustande gekommen. Denn wer während der Fahrt das Handy nutzt, der ist nämlich gerade nicht unaufmerksam, sondern ist noch konzentrierter und beobachtet den Verkehr um sich herum meist aufmerksamer als vorher. Denn niemand will ja einem anderen hinten drauffahren. So jedenfalls meine persönliche Erfahrung.

Und wofür all die Verbote?

Okay, eines ist klar: Städte und Gemeinden kassieren Bußgelder. Und zwar ordentlich. Die Zahl der erfassten Verstöße gegen das Handyverbot bewegen sich seit Jahren so um die 400.000 bis 500.000.

https://www.bussgeldrechner.org

Im Jahr 2020 waren laut KBA 413.277 registrierte Verstöße.

Da kommen für die Kommunen so etwa 100 Mio. Euro im Jahr zusammen.

Und außer diesen Einnahmen, die natürlich überhaupt nicht Zweck der ganzen Verbote sind? Welchen Erfolg haben diese Verbote?

Man weiß es nicht.

Nun könnte man sagen, das Verbot der Handynutzung am Steuer reduziert doch die Zahl der Unfälle. Klingt erstmal logisch, lässt sich aber aus den Zahlen nicht belegen.

Die absolute Zahl der Verkehrsunfälle steigt seit Jahren leicht, aber kontinuierlich an. Der Rückgang in den Jahren 2020 und 2021 liegt vor allem an den Lockdowns und Beschränkungen durch die Corona-Politik. Davor stieg die Zahl mit leichten Aufs und Abs bis zum Jahr 2019 kontinuierlich. Und schon 2021 gab es wieder mehr Unfälle als 2020, aber immer noch weniger als 2019.

Also ein Rückgang der Unfälle wegen des Handyverbots am Steuer ist nicht direkt ersichtlich. Nun könnte man sagen, daß es ohne Handyverbot noch mehr Unfälle gewesen wären, aber dies ist eine hypothetische Aussage, die niemand beweisen oder widerlegen kann.

Im Allgemeinen wird der Anstieg der Unfälle vor allem mit der Zunahme des PKW-Verkehrs zusammenhängen.




Schaut man auf die Zahl der Verkehrstoten, so nimmt diese seit Jahren kontinuierlich ab. Also eigentlich seit Jahrzehnten.

Das Statistische Bundesamt bietet diese schöne Grafik an, wo gesetzliche Regelungen im Zeitablauf eingefügt sind:




Man sieht, daß eigentlich den größten Effekt die Einführung von Tempo 100 auf Landstraßen hatte. Natürlich neben den immer sicherer werden Autos. Knautschzonen, Sicherheitsgurte, Airbags, ABS und die neuen Assistenzsystem wie Abstandswarner oder Tempomat tragen dazu auf jeden Fall bei.

Ein Einfluss des Handyverbotes oder gar der Verschärfung der Strafen ist nicht ersichtlich!

Man sieht aber auch, daß die vom Staat eingeführten Verbote oder Gebote immer nur dem bereits vorhandenen Trend hinterher liefen. Airbags, Sicherheitsgurte und andere Assistenzsysteme wurden von Ingenieuren aus der Industrie erfunden, nicht von Politikern. Politiker schreiben dann gern allen Autoherstellern vor, die Erfindungen der Industrie in allen Autos einzubauen, obwohl sich sinnvolle Erfindungen auch ohne politischen Einfluss am Markt durchsetzen würden.

Und wer auf einen Airbag oder ABS verzichten will, soll das doch bitte gern tun dürfen. Was geht es eine Regierung an, in welchem Auto man unterwegs ist? Schließlich sind Millionen Menschen mit Autos ohne all diese Sicherheits-Features großgeworden. Servolenkung? Mein erster Golf 1 hatte keine. Von Airbag und ABS ganz zu schweigen. 

Und den einzigen Unfall, den ich damit hatte, hat ein anderer verursacht.

Übrigens sind weniger als die Hälfte der Verkehrstoten PKW-Fahrer. Die anderen sind Motorrad- und Radfahrer oder Fußgänger. Und sie sind ja nicht alle gestorben, weil ein Autofahrer auf's Handy geschaut hat.

Unfallstatistik 2020

Verstöße gegen das Handyverbot am Steuer sind übrigens eine Ordnungswidrigkeit. Im Jahr 2020 registrierte das KBA wie schon gesagt 413.277 solcher "Verstöße". Und wahrscheinlich waren die meisten davon völlig harmlose Situationen, in denen der Autofahrer dabei "erwischt" wurde, wie er niemanden gefährdet!

Denn wie schon gesagt, aus den Zahlen der Verkehrsunfälle und der Toten lässt sich nicht erkennen, daß Handynutzung am Steuer einen negativen Einfluss hat.

Zwischen 2011 und 2015 gingen die registrierten Verstöße gegen das Handyverbot deutschlandweit insgesamt übrigens zurück, um dann später wieder anzusteigen. Die Verschärfung der Strafen bei Verstoß gegen das Handyverbot traten 2017 inkraft. Ein Effekt ist auch hier nicht erkennbar.

Übrigens sind diese 413.277 Verstöße im Jahr 2020 nur etwa 10% aller Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten. Die mit Abstand meisten Vergehen waren Geschwindigkeitsübertretungen. Über 2,6 Mio. gab es davon im Jahr 2020. Und das trotz gesetzlicher Geschwindigkeitsbeschränkungen. Und die Zahl der Toten und Verletzten geht dennoch Jahr für Jahr zurück.

Den 413.277 registrierten Verstößen gegen das Handyverbot in einem Jahr stehen übrigens mehrere Millionen Autofahrten pro Tag (!!!) gegenüber. Nun kann man sagen, daß ja nicht alle Verstöße bemerkt und geahndet werden, aber das bedeutet ja auch, wie hoch auch immer diese Dunkelziffer sein mag, daß diese "Verstöße" im Gesamtbild nicht auffallen. Niemand bemerkt irgendwo einen Effekt von Handynutzung am Steuer in den Zahlen der Unfälle oder der Toten und Verletzten. Der einzige Effekt ist in den Geldbörsen der Autofahrer und den Kassen der Kommunen spürbar. Und im Selbstbild der Politiker, die sich wieder selbst auf die Schulter klopfen können, weil ihre Gesetze und Verbote und Gebote Menschenleben gerettet haben, was aber niemand nachweisen kann.

Oft hört man dann noch das Argument: jedes gerettete Leben zählt. Aber wenn ich dieses (schwachsinnige) Argument anerkenne, dann müsste ich den Autoverkehr komplett verbieten, denn dann könnte man die Zahl der Verkehrsopfer drastisch reduzieren. Auf diese absurde Idee kommt allerdings kein Politiker. Aus Gründen.

Man sieht jedenfalls, daß Millionen von Autofahrern mit ihren mehreren Milliarden einzelnen Autofahrten pro Jahr wieder mal in ihrem Leben eingeschränkt werden mit dem Ergebnis von etwa 400.000 bis 500.000 registrierten Verstößen gegen das Handyverbot im Jahr. Mehrere Milliarden Fahrten gegen 500.000 registrierte Verstöße, die noch nicht mal einen spürbaren Effekt auf die Unfallzahlen und -opfer haben.

Ich verweise an dieser Stelle wieder auf den Effekt in den Kassen der Kommunen und das Selbstwertgefühl von Politikern. Politiker sind entweder Angsthasen, die ihre eigenen Ängste vor dem Leben auf die Bürger projizieren oder sie sind Kontroll- und Überwachungs-Fetischisten. Vielleicht sogar beides.

Man schießt wieder mit Kanonen auf Spatzen und fühlt sich als Politiker gut, weil man wieder etwas geregelt hat.

Und immer legt der Staat noch einen drauf. 50 Euro, dann 100, dann 200, dann Fahrverbote, dann technische Aufrüstung wie die oben beschriebene Verkehrsüberwachung mit Kameras... niemals ist dem Staat der "Schutz der Bürger" ausreichend. Die Unfall- und Opferzahlen können auf so vergleichsweise niedrige Niveaus sinken, wie es nur geht (null Unfälle und Opfer wird es eh nie geben), der Staat verschärft trotzdem die Maßnahmen. Und jede Maßnahme muss auch kontrolliert werden, was zu neuen Maßnahmen führt. Und es fehlt meist jeglicher Beleg für die Wirksamkeit der Überwachung und Kontrolle.

Und mal ehrlich: auf welches Niveau soll denn die Zahl der Unfälle und Opfer sinken, bis der Staat sein "Schutzbedürfnis" als befriedigt ansieht?

In Berlin warnen sie derzeit auf den elektronischen "Plakatwänden" mit dem Hinweis, daß in diesem Jahr bereits 11 Radfahrer ums Leben gekommen sind und daß man vorsichtig fahren soll.

Wir haben August und sie reden von "bereits 11". Wie niedrig soll die Zahl denn werden? Berlin hat fast 4 Mio. Einwohner und Mio. von Autofahrern, die auch jeden Tag Millionen Einzelfahrten zurücklegen. Und dabei sind in etwas mehr als 7 Monaten 11 Radfahrer ums Leben gekommen. Sicher ist jeder einzelne Fall für die Angehörigen tragisch, aber das ist kein Grund für den Staat, noch mehr einzugreifen! Es ist keine Epidemie, keine Seuche. Und dabei wird völlig ausgeblendet, daß oft Radfahrer selbst nicht ganz unschuldig sind an ihren Unfällen. Jeder Autofahrer, der Rücksicht auf Radfahrer nimmt, kann viele Geschichten davon erzählen, daß Radfahrer gern mal diese Rücksicht oder Aufmerksamkeit selbst unterlassen.

Übrigens ist das Benutzen des Navis im Touchscreen im Auto erlaubt, solange die Bedienung des Navis nicht die Aufmerksamkeit vom Straßenverkehr ablenkt. Ich darf also eine neue Adresse während der Fahrt eingeben, darf aber nicht eine Telefonnummer im Handy wählen. Ich darf regelmäßig auf's Navi schauen und mich über den Weg und die Umgebung informieren, aber nicht auf dem Handy Nachrichten lesen oder schreiben.

Übrigens rühmte sich die Auto-Bild im oben genannten Artikel noch, zusammen mit der DEKRA im Jahr 2017 die Kampagne "Handy weg! Dein Leben zählt!" gestartet hatte. Eine ziemlich übertriebene und alarmistische Kampagne, wie ich anhand der Zahlen gezeigt habe.

Das Verkehrsministerium ließ sich natürlich nicht lumpen und setze mit dem Spruch "tipp tipp tot" auf Plakaten an Autobahnen noch einen drauf.

Daß die Politik solche völlig übertriebenen "Nudging"-Kampagnen startet, ist nicht Neues, aber daß sich die größte Autozeitung Europas noch der Gängelung ihrer Zielgruppe anschließt und das noch als Einsatz für Leben und Gesundheit feiert, wo doch nichts den "Erfolg" dieser Gängelung belegen kann, ist schon ziemlich ärgerlich.

Aber Journalismus ist in Deutschland liegt ja schon lange im Bett der Politik.




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