Die Deutsche Industrie- und Handelskammer hat nach 23 Jahren einen neuen Hauptgeschäftsführer, genauer eine Hauptgeschäftsführerin. Helena Melnikov löst den ewigen Martin Wansleben ab.
Soweit so gut.
Sie ist Juristin und hat fast ihr gesamtes Berufsleben in Wirtschaftsverbänden in Deutschland verbracht, sie sollte sich auskennen.
Ihr erstes Interview gab sie jetzt dem Handelsblatt. Im XING-Newsletter war es komplett lesbar, sonst ist es hinter einer Bezahlschranke.
Sie warnt zunächst eindringlich vor einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, wenn niemand gegensteuert.
"Aber wir rasen jetzt auf die letzte Ausfahrt zu. Ich habe so eine schlechte Stimmung und so schlechte Zahlen noch nie gesehen. Wenn die Politik in den nächsten vier Jahren die Standortbedingungen nicht deutlich verbessert, dann kommt Deutschland aus dem Tief nicht mehr heraus."
...
Die nächste Regierung wird auch die Zahlen sehen, sie kann der Realität nicht entkommen und sollte die Chance ergreifen, unser Land mit einer neuen Wirtschaftspolitik wieder in Richtung Zukunft zu führen. Wir können der nächsten Koalition nur empfehlen: Fangt mit der Wirtschaft an. Nach Rückmeldungen von mehr als 23.000 IHK-Mitgliedsunternehmen in den ersten Wochen des Jahres gehen wir davon aus, dass 2025 die Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent sinken wird. Wir bekommen damit das dritte Rezessionsjahr in Folge. Das gab es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nie."
Erstaunlicherweise traut sie den Umschwung allen Parteien zu, die bisher den Absturz zu verantworten haben. Man müsse nur auf die Wirtschaft hören. Ja, richtig, nur haben das die Regierungsparteien der letzten Jahre nicht getan, obwohl es ihnen schon seit Jahren gesagt wird.
Ein wichtiger Punkt für sie ist die Deregulierung, also Bürokratieabbau. Sie nennt beispielhaft die aktuelle Entwicklung in den USA mit Elon Musks DOGE-Initiative und sagt, was auch für Deutschland/Europa am Wichtigsten ist:
"Die Lösung kann nur sein: streichen, streichen, streichen. Regierung und EU-Kommission sollten sich das Ziel setzen, für jede neue Vorschrift mindestens zwei bestehende abzuschaffen."
Das klingt auch sehr nach Trump, der sogar mehr Streichungen alter Vorschriften bei Einführung einer neuen fordert.
Sie kritisiert auch das Problem, daß die Politik erst Probleme schafft (Beispiel Energiepreise) und dann hinterher umfangreiche und oft wenig wirksame Förderprogramme einführt, um die negativen Auswirkungen der politischen Grundsatzentscheidungen wieder abzufedern.
Auch gut: "Es ist nicht Aufgabe des Staates zu entscheiden, welches Unternehmen beschenkt und welches ignoriert wird. Die freie Entwicklung der Märkte ist entscheidend,..."
Wie gesagt, so weit so gut.
Doch was ist das Große Rätsel?
Es kommt bei der Frage nach der Migration und der AfD.
Da ist für mich das große Rätsel, ob deutsche Verbandschefs so reden müssen (und dabei auch offensichtlich lügen) oder ob sie wirklich auf diesem Gebiet so dumm sind? Sie ist ja nicht die Einzige, die sich so geäußert hat.
Zur AfD sagt sie: "Über ein Regierungsprogramm kann man ja nur spekulieren. Einige politische Forderungen, die da propagiert werden, hätten sehr konkrete Konsequenzen."
Welche? "Wenn wir niemanden mehr ins Land lassen, werden wir zu wenig Fachkräfte haben."
Wie kommt sie auf die Idee, daß die AfD niemanden mehr ins Land lassen will?
Ein Blick ins Wahlprogramm der AfD, Seite 100, hilft da:
"Eine existentielle Frage wie die Zuwanderung muss in freier Selbstbestimmung auf nationaler Ebene entschieden werden. Das bedeutet, allein Deutschland entscheidet, wer nach Deutschland kommen darf. Kontrollen und damit verbundene Zurückweisungen an der Grenze müssen als selbstverständliches Recht souveräner Staaten aufgefasst werden. Die AfD wird eine deutliche Kehrtwende in der bisherigen Migrationspolitik einleiten und die Staatsgrenzen wieder kontrollieren. Die Freizügigkeitsregelungen innerhalb der EU bleiben davon unberührt. Einreisen darf künftig nur noch, wem dies erlaubt ist. Alle in den letzten Jahren angestoßenen migrationspolitischen Regelungen, die nicht im Interesse Deutschlands liegen, werden zurückgenommen. Wer kein Bleiberecht besitzt und sich illegal in Deutschland aufhält, wird abgeschoben."
Nirgends ein Wort davon, daß niemand mehr ins Land darf? Also die Frau kann ja lesen und wenn sie keine Zeit dazu hat (wobei das bei mir jetzt maximal zwei Minuten gedauert hat, das Programm zu googlen, zu öffnen und das Inhaltsverzeichnis durchzugehen), sollte sie einen Stab an Referenten haben, die sicher auch lesen können und die sie auf so ein Interview vorbereiten. Denn die Frage nach der AfD ist so vorhersehbar wie alle anderen Fragen des Interviews.
Auch allgemein, unabhängig von diesem Interview sollte sich die Chefin des DIHK für ihre Arbeit mit den Programmen aller Parteien beschäftigen, schließlich ist die AfD inzwischen eine maßgebliche Kraft im Land und auch bei Unternehmern eine Wahloption, bei vielen die einzige.
Und zuletzt sollten auch die Redakteure des Handelsblatt in der Lage sein, die paar Zeilen zu lesen.
Auf Seite 112 des AfD-Programms steht dann recht eindeutig:
"Wir begrüßen die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte, sofern diese zum Erfolg unseres Landes sowie zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland beitragen können. Das gilt für alle Berufsfelder, in denen bei uns Mangel herrscht., beispielsweise im Handwerk, im Gesundheitswesen, in naturwissenschaftlichen und IT-Berufen. Beenden werden wir dagegen den Irrweg der Vermischung von qualifizierter Zuwanderung und humanitärem Schutz. Die häufig als Rechtfertigung für Massenmigration herangezogene Behauptung eines „flächendeckenden Fachkräftemangels“ muss kritisch hinterfragt werden. Es gibt ausreichend potenzielle Arbeitskräfte. Doch bleiben sie häufig aufgrund unattraktiver Arbeitsbedingungen und falscher Einkommensanreize im Steuerrecht sowie beim Bürgergeld dem Arbeitsmarkt oder ihrem Ausbildungsberuf fern"
Wieder nichts von "niemanden ins Land lassen".
Im AfD-Programm wird weiter ausgeführt, daß man sich an vielen anderen Ländern orientieren will, die ihre Migrationspolitik deutlich geändert haben oder an klassischen Einwanderungsländern, die vor allem auf die Qualifikation setzen und nicht auf Masse.
Die vielen Mio. Migranten der letzten Jahre haben jedenfalls den Fachkräftemangel in Deutschland und Europa nicht beseitigt!
Was soll das also? Was ist die Auflösung des Rätsels? Warum sagt sie sowas? Ganz ehrlich, für zu dumm halte ich diese Leute nicht. Bleibt nur, daß sie so reden müssen.
Weiter kommentiert sie das AfD-Programm: "Wenn wir aus der EU austreten, sind wir komplett fragmentiert und Deutschland nur noch ein sehr kleiner Player im Wettbewerb mit China und den USA. Außerdem gehen mehr als die Hälfte unserer Exporte in den europäischen Binnenmarkt."
Also auf Seite 61 des Programms steht, daß Deutschland zunächst mal aus dem Euro-System, also der gemeinsamen Währung mehrerer Staaten austreten soll. Eine eigene Währung ist das Kernelement souveräner Finanzpolitik. Das ist Basiswissen für jeden Ökonomen! Und schon lange wird von vielen Ökonomen der Euro als historischer Fehler bezeichnet. Die Zeiten der D-Mark haben es bewiesen, daß Deutschland mit eigener Währung wirtschaftlich stark sein kann. Dafür braucht man keinen Euro. Die Schweiz und und Tschechien und Norwegen und Schweden zeigen das ebenfalls. Oder Großbritannien, das sogar den weiteren Schritt des BREXIT gegangen und noch immer nicht untergegangen ist. Die aktuellen Problem dort haben jedenfalls nichts mit der Abwesenheit der EU oder des Euro zu tun.
Auf Seite 139 steht dann zum Thema Europäische Union:
"Wir wollen wieder selbstverantwortliche und souveräne Nationalstaaten haben, die in Freiheit und Selbstbestimmung zusammenleben. Daher streben wir einen „Bund europäischer Nationen“ an, eine neu zu gründende europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft, in der die Souveränität der Mitgliedstaaten gewahrt ist und nur dort zusammengearbeitet wird, wo echte gemeinsame Interessen bestehen. Alle anderen Bereiche gehen zurück in die Zuständigkeit der Nationalstaaten. Als zentrale gemeinsame Interessen dieses Bundes betrachten wir erstens einen gemeinsamen Markt, zweitens den wirksamen Schutz der Außengrenzen gegen illegale Zuwanderung, drittens die Erlangung strategischer Autonomie im sicherheitspolitischen Handeln und viertens die Bewahrung der europäischen Kulturen und Identitäten. Der Übergang von der Europäischen Union in den Bund europäischer Nationen soll entschlossen und planvoll erfolgen. Dabei muss gewährleistet sein, dass Deutschland zu Beginn dieses Prozesses von seiner Rolle als „Zahlmeister“ befreit wird."
Das ist also kein spontaner Austritt aus der EU, sondern ein geplanter Prozess zur Rückführung der EU auf das, was sie eigentlich sein sollte. Wir brauchen einen gemeinsamen Markt ohne Zölle und Handelsgrenzen. Dazu braucht es kein EU-Parlament, keine Kommission und keine Förderprogramme! Es braucht einen Vertrag. So wie es mal die EWG vorsah.
"Die AfD steht seit ihrer Gründung zu der Idee eines Europas der Vaterländer, einer europäischen Gemeinschaft souveräner, demokratischer Staaten. Die EU und die sie tragenden Eliten haben sich jedoch mit den Verträgen von Maastricht und Lissabon von dieser Ursprungsidee verabschiedet. Alle Krisen seit 2008 wurden zudem von der Kommission dafür genutzt, die Transformation der EU zu einem supranationalen Bundesstaat weiter voranzutreiben, unterstützt vom Europäischen Gerichtshof und einer selbstherrlichen Bürokratie. Wir erleben inzwischen eine von Brüssel ausgehende illegitime Entdemokratisierung, Zentralisierung, Überregulierung und Planwirtschaft. Die faktische Euro-Transferunion verstößt gravierend gegen die Verträge zur Euro-Währungsgemeinschaft. Deutschland ist in dieser der größte Nettozahler."
Was genau kann ein verständiger, rationaler Mensch dagegen haben? Und wo steht da was von Abschottung?
Und ganz unabhängig von irgendwelchen Parteiprogrammen: wie schafft es eigentlich die kleine Schweiz, so erfolgreich zu sein ohne die EU-Mitgliedschaft? Genau! Durch eine eigene Währung und einen Vertrag mit der EU. So wie Norwegen, so wie Island. Und so wie hunderte andere Staaten auf dieser Welt auch, die alle mit europäischen Ländern Handel treiben. Und am Ende handeln die nicht mit der EU, sondern mit einem ganz konkreten, einzelnen Kunden in einem Land. Und das funktioniert auch völlig ohne ein EU-Parlament und eine Kommission und all den ganzen undemokratischen und bürokratischen Überbau!
Und genau wie vor der EU (nach Maastricht und Lissabon) wird Deutschland auch danach Waren in die anderen europäischen Länder liefern, solange Deutschland Waren produziert, die Abnehmer finden. Und kein EU-Beamter oder -Politiker stellt irgendwas davon her, was unsere europäischen Nachbarn gern von uns kaufen.
Also alles, was Frau Melnikov hier vorbringt, hat mit dem AfD-Programm nichts zu tun! Und auch nicht mit rationaler Sicht auf die Lage, unabhängig von Parteiprogrammen.
Muss sie das tun? Muss sie so reden? Oder versagen tatsächlich alle Beteiligten in ihrem Umfeld bei der einfachen Aufgabe, das Programm zu lesen? Und sie hat ja ihre Analysen angeblich gerade anhand des Programms der AfD getroffen.
Weiter sagt sie - und da wird es dann ein wenig absurd:
"Und wenn man Windräder abreißen will, stellt man das Grundrecht auf Eigentum sowie tragende Elemente unserer ohnehin schon eingeschränkten Energieversorgung infrage. Das alles bedeutet für die Wirtschaft nichts Gutes."
Also der Staat greift auf so vielen Ebenen in das Grundrecht auf Eigentum ein, daß es lächerlich ist, sich jetzt auf diesen einen Fall zu konzentrieren. Und die Eingriffe in das Eigentum aller Bürger, die diesen ideologischen Wahn über die EEG-Zwangsumlage und neuerdings Steuergelder finanzieren müssen, sind ihr egal. Da sind ein paar hundert Mrd. Euro über die 30 Jahre zusammengekommen, die von unten nach oben verteilt wurden, seit es die Idee der Subventionierung der Einspeisung von Strom aus Wind und Sonne gibt.
Und daß unsere Energieversorgung durch die katastrophale grüne Energiepolitik eingeschränkt ist und nicht durch die AfD, weiß sie auch nicht? Und daß mit der Abschaffung der Förderung von Strom aus Wind und Sonne eine Rückkehr zur stabilen Stromversorgung aus Kern-, Kohle- und Gaskraftwerken einhergehen soll, also daß unsere Energieversorgung gestärkt und nicht geschwächt wird, versteht sie auch nicht?
Und daß das AfD-Programm mit einem Absatz zur Wirtschaftspolitik beginnt, in der mehr freies Unternehmertum, mehr Markt und weniger Staat gefordert wird. Ich darf mal wieder zitieren:
"Freies Unternehmertum und Wirtschaftsstandort stärken Wir streben eine funktionierende Wirtschaft an, die aus eigener Kraft und Profitabilität in Forschung und Entwicklung investiert, um dem internationalen Markt innovative und wettbewerbsfähige AnSOZIALE MARKTWIRTSCHAFT UND GESUNDHEIT 11 gebote zu machen. Deutsche Unternehmen sollen an der Weltspitze der Exportunternehmen stehen und „Made in Germany“ wieder zu einem Markenzeichen für Exzellenz und Einzigartigkeit machen. Dafür streben wir eine auf Leistung und Talentförderung ausgelegte Schul- und Berufsausbildung an. Unsere Universitäten sollen in die Lage versetzt werden, erstklassige Talente aus Deutschland und aller Welt anzuziehen und unser Land in den Top-Branchen zu einem internationalen Innovationsführer zu machen. Dazu zählen wir neben den Traditionsbranchen wie Automobilbau, Maschinenbau, Chemie auch moderne Hochtechnologien wie Dual-Fluid-Nukleartechnik, Weltraumtechnologie, Nano-Technologie und Künstliche Intelligenz."
So oder so ähnlich steht es wahrscheinlich auch im Programm der CDU und der FDP und mit mehr etatistischem Anstrich auch bei SPD und Grünen. Aber dort bedeutet das nichts Schlechtes für die Wirtschaft? Und daß die anderen Parteien in der Realität der Wirtschaft schaden, wie Frau Melnikov ja selbst festgestellt hat, ignoriert sie an dieser Stelle auch?
Wie soll man sowas verstehen? Hört da plötzlich an einem Punkt das Interesse und das Denken und der Intellekt auf?
Hat man da statt des berühmten Bretts eine Brandmauer vor dem Kopf?
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