Dienstag, 7. Oktober 2025

Ideologie trifft Realität

Man muss der taz Eines zugute halten: hin und wieder liest man dort Artikel, die dem eigenen Selbstverständnis der Zeitung und seiner Leser kritisch gegenüberstehen bzw. die eigene links-grün-liberale Weltsicht mit der Realität konfrontieren. So wie hier.

Eine klassische, fast schon klischeehafte Wohnungseigentümergemeinschaft aus dem Westberliner links-grünen Milieu muss sich mit den realen Auswirkungen grüner Klimaschutz-Kasperei auseinandersetzen. Der schöne Altbau muss klimagerecht saniert werden. Man will ja seinen Beitrag zur Rettung des Klimas leisten.



 

Und am Ende stellt sich auch hier die Frage, die sich bei allen links-grünen Utopien stellt: kann man das bezahlen und wer soll es bezahlen?

Die logischen, vorherigen Fragen, nämlich ob das alles überhaupt notwendig ist und ob es sich jemals rechnet, stellt man sich in diesem Milieu nicht.

Das Mikromilieu der Berliner Hausgemeinschaft in der Selbstbeschreibung des taz-Autors:

"Im Frühsommer 2021 taucht das Thema bei uns erstmals auf. Das Protokoll der Hausversammlung im zweiten Coronajahr vermerkt, wir wollen „die Nutzung alternativer Energien für die Heizungs- und Warmwasserversorgung prüfen. Beim nächsten Mal soll ein angemessenes Budget für einen Energieberater freigegeben werden.“

Damals liegt etwas in der Luft. Die jugendliche Klimabewegung Fridays for Future ist eine große Nummer. Etliche unserer Kinder machen dabei mit. Die Grünen haben im Bundestagswahlkampf mit Annalena Baerbock zum ersten Mal eine Kanzlerkandidatin benannt. Ich frage ich mich: Was bedeutet die Klimadebatte für unser Haus? Ein Jahr später, im April 2022, beschließen wir, 2.000 Euro aus unserem gemeinsam angesparten Hausvermögen freizugeben, damit ein Energieberater uns ein Gutachten erstellt. Wir wollen genauer wissen, was wir tun können, und wie viel das kostet.

Die meisten von uns zogen 2004 zum gleichen Zeitpunkt ein. Wir kauften unsere Wohnungen einzeln von einem Immobilienentwickler, der das Haus hatte sanieren lassen. Seitdem sind wir offiziell eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG), die für Teile der Immobilie – Keller, Außenwände, Dach, Leitungen, Heizung, Garten – gemeinsam verantwortlich ist.

Die Erwachsenen sind ungefähr zwischen Mitte 40 und 60 Jahre alt. Studienabschlüsse sind normal. Wir gehören eher zur liberalen, linken und grünen Klientel. Im Hof stehen sehr viele Fahrräder, auf der Straße drei Autos. In vier der elf Wohnungen leben Leute mit Migrationshintergrund."

Allein die Erwähnung, daß in vier der elf Wohnungen Leute mit Migrationshintergrund leben, zeigt die Heuchelei dieses Milieus, daß einerseits so sehr darauf bedacht ist, zu betonen, daß es egal ist, woher jemand kommt und andererseits das "Zusammenleben" mit Migranten wie eine "Urkunde für Toleranz und Weltoffenheit" präsentiert wird. Denn welche Bedeutung sonst hat die Erwähnung der Migranten? Wofür soll diese Info nützlich sind? Es wird nichts weiter gesagt zum sozialen Status der Migranten oder wie sie überhaupt zu der Sache stehen oder wie man zueinander steht, also im Verhältnis der Bewohner untereinander. Es wird nur gesagt, daß dort Migranten wohnen. Wofür ist diese Information wichtig?

Es zeigt eigentlich nur, daß das Milieu doch Wert darauf legt, wo jemand herkommt und darauf, daß Leute mit Migrationshintergrund in ihrem Lebensumfeld zu finden sind. Mehr nicht.

Es müssen natürlich die richtigen Migranten sein.

Ich bin mir ziemlich sicher, daß die Leute mit Migrationshintergrund in diesem Haus in diesem "angenehmen Viertel der Berliner Innenstadt" nicht erst vor kurzem aus einem Flüchtlingsheim dort eingezogen sind. Und das "angenehme Viertel der Berliner Innenstadt" ist ganz sicher auch deswegen angenehm, weil dort die negativen Auswirkungen der Massenmigration (noch) nicht zu spüren sind.

Die Kinder des Milieus sind natürlich aktiv bei FFF, Studienabschlüsse sind normal und man feiert Frau Baerbock. Mehr Klischee geht gar nicht. Ohne die Leute genauer zu kennen, weiß ich mit Sicherheit, daß ich niemals auf die Idee kommen würde, mit denen einen Abend bei Bier, Wein und Chips zu verbringen.

Da helfen auch die Studienabschlüsse nicht, die bei den Bewohnern des Hauses normal sind. Im Text werden ja eine Kunstlehrerin und deren Mann, Musiklehrer, erwähnt. Also Kunst- oder Pädagogik-Studenten offenbar. Das ist jetzt wirklich nichts, was mich beeindruckt.

Aber dieser Hinweis auf die Studienabschlüsse soll eigentlich auch nur dem Leser mitteilen, daß man sich für gebildet hält. Das ist aber ein klassischer Fehlschluss von Linken, daß ein Studium automatisch mit Bildung gleichgesetzt wird. Und zwar mit umfassender Bildung.

Manche halten ja auch das Kennen und Nachplappern von erfundenem woken Bullshit für Bildung, sei es die aktuelle Definition von Rassismus, die letzte Studie über Diskriminierung und Mikroaggression oder die genaue Anzahl der möglichen Geschlechter. Und wer davon nichts weiß oder wen das gar nicht interessiert, der ist halt ungebildet. 

Daß jeder Handwerker oder Facharbeiter mit gesundem Menschenverstand mehr vom Leben versteht und wie man sich darin zurechtfindet, verstehen diese "Bildungsspießer" nicht. Im taz-Beitrag wird das in einem kleinen Absatz deutlich. Auf die Frage, ob der Autor mit seinen 62 Jahren überhaupt noch einen Kredit bekommt, weiß man keine Antwort. Und man googelt nicht oder befragt die KI oder ruft mal bei der eigenen Bank an, nein: man schickt eine Mail an die Bankenverbände. Das ist die Lösung dieser unbedarften Klugscheißer: eine Mail an die Bankenverbände. Unter dem machen sie es nicht. Die Bankenverbände sind für sie genau der angemessene Ansprechpartner für die Beantwortung dieser völlig banalen und eher peinlichen Frage. Zumal das am Ende die individuelle Entscheidung der jeweiligen Bank ist und nicht die von Bankenverbänden.

Mehr Boomer geht nicht. Aber Hauptsache gendern.

Die hätten auch meine Friseuse befragen können, die hätte die Antwort sicher auch gewusst.

Den Text der Email würde ich gern mal lesen. Wahrscheinlich haben die eine halbe Stunde daran gefeilt und noch umständlich erklärt, warum sie ihre Frage überhaupt stellen.

Übrigens, das im Text erwähnte Lehrerpaar hat angabegemäß für sich und seine Kinder 2.500 Euro im Monat zur Verfügung. Davon geht dann aber auch noch die Rate für die Wohnung weg. Bleiben etwa 1.000 Euro.

Was? Beide zusammen haben 2.500 netto zur Verfügung? Was sind denn das für Jobs? Mit Mindestlohn hat man ja schon etwa 1.600 netto.

Jeder gute Facharbeiter hat das allein. Also die 2.500! Ich auch. Mehr sogar. Okay, ich hab zwar auch studiert, aber offenbar etwas Sinnvolleres, bei dem man mehr Geld verdient. Aber auch gute Facharbeiter können über 2.500 netto nur lächeln. Und ganz ehrlich, die Fähigkeiten, die ich für meinen Job brauche, habe ich nicht im Studium erworben, sondern im Laufe vieler Berufsjahre. Probieren geht eben immer noch vor Studieren.

Das Studium hat den beiden Lehrern jedenfalls ganz offensichtlich keine Vorteile beim Einkommen gebracht. Eine Universalbildung hat man mit Kunst und Musik auch nicht. Also wozu dann studieren?

Und die vermeintliche Beiläufigkeit, mit der die Informationen über die Studienabschlüsse und die migrantischen Mitbewohner gestreut wurde, kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie wichtig diese Informationen für den Autor sind. Sie sollen ein bestimmtes Bild beim Leser erzeugen. Denn die Leute, um die es in dem Beitrag geht, wissen das ja bereits. Die müssen sich selbst diese Informationen nicht geben. Nein, die sind für den Leser gedacht und dienen der Imagebildung. Der Autor hält ganz offensichtlich große Stücke auf sein Studium und auf den wohl eher zufälligen Fakt, daß ein paar nicht ganz arme Ausländer mit im Haus wohnen.

Die Kosten für die klimagerechte Sanierung des Hauses sind am Ende laut Architekten-Gutachten übrigens bei einer knappen Mio. gelandet. Das war im Jahr 2023 und inzwischen dürfte die Mio. auch überschritten sein, wenn man sich die Entwicklung der Baupreise anschaut.

Über die Ursachen dieser Preisentwicklungen können die studiert Habenden sicher nur mutmaßen. Eine sinnvolle Antwort, die über das Schlagwort "Inflation" hinausgeht, haben die sicher nicht.

Die Lösung für all die Probleme ist natürlich schnell gefunden: Mehr Geld vom Staat. Die bestehenden Förderprogramme reichen nicht. Und das ist schlecht: "Ohne weitere Mittel kann es sein, dass die Sanierung von Millionen Gebäude in Deutschland unterbleibt, die Energieverschwendung weitergeht und die Klimaneutralität insgesamt infrage steht. Das, finde ich, wäre eine schlechte Entwicklung."

Darüber, wo das "Geld vom Staat" herkommt, haben die klimabesorgten Wohnungsbesitzer sicher auch noch nicht wirklich nachgedacht.

Wobei, ein wenig Realitätssinn schleicht sich dann doch irgendwie ein: "Andererseits erscheint dieser Finanzierungswunsch unrealistisch. Der Bundeshaushalt ist tendenziell schon mit den existierenden Programmen überfordert. Und viele Leute würden es für ungerecht halten, dass vermögende HausbesitzerInnen zusätzlich mit Steuergeld gefördert werden."

Der Bundeshaushalt ist übrigens nicht "tendenzielle schon" überfordert, sondern er ist überfordert! Tatsächlich!

Am Ende herrscht Uneinigkeit über den Umfang der Maßnahmen, die man jetzt angehen will, aber wie es sich in einer richtigen Demokratie gehört, entscheiden wenige über das Schicksal aller. In Form des gemeinsamen Hausgeldkontos. Relative Mehrheit gewinnt.

Der Artikel ist aus dem Juli 2024 und wir sind jetzt mehr als ein Jahr in der Zukunft. Es wäre mal interessant, wie diese Geschichte ausgeht bzw. weitergeht. Leben noch dieselben Leute in dem Haus oder haben einige ihre Wohnungen verkauft? Hat sich die WEG über ein paar Sanierungsmaßnahmen und die Kosten zerstritten? Pfeift neben dem Wind auch der Sturm der grünen Ideologie durch's Haus und zerstört die einstige Wohlfühloase?

Vielleicht schreibe ich mal eine Email an die taz, ob es eine Fortsetzung der Geschichte gibt.



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