Samstag, 11. April 2020

Corona und New York




New York City ist sowas wie das amerikanische Epizentrum der Corona-Epidemie. 35% aller Fälle der USA treten im Staat New York auf, über die Hälfte davon allein in NYC.

Die "Todesrate" beträgt nach den letzten Zahlen knapp 6% (mehr als 5.150 Tote auf knapp 88.000 Infizierte, also positiv Getestete). Natürlich muss man diese Zahl ein gehöriges Stück nach unten abändern, da die tatsächliche Zahl der Infizierten unbekannt, aber um einiges höher ist. Im Gesamtstaat New York beträgt die Todesrate etwa 4,5%, in den benachbarten Staaten New Jersey und Connecticut bei etwas über 3%.

Nicht nur die erhöhte Todesrate fällt auf, sondern auch, dass derzeit die absolute Zahl der Toten in New York City sehr hoch ist. So hoch, dass offenbar die Stadt nicht hinterherkommt, die Toten final zu begraben und daher "Zwischenlagerungen" auf dem Armen-Friedhof Hart Island vorgenommen werden.

Die zwischenzeitlich kursierende Information, dass New York plant, Massengräber in öffentlichen Parks auszuheben, stellte sich als Fehlinformation dar, dennoch scheint die Stadt von der aktuellen Situation überfordert zu sein.

Die hohe Zahl der Toten in New York macht mich etwas stutzig. Das fällt schon auf, selbst gegenüber den Hotspots Wuhan und Norditalien. Und dabei meine ich die reine absolute Zahl an Todesopfern, unabhängig davon, ob sie nun mit oder durch den Virus gestorben sind. Denn es müssen ja "zusätzliche" Tote vorliegen, wenn die Stadt derzeit nicht mit dem Begraben hinterherkommt. Also egal, ob die Menschen dort jetzt mit oder wegen Corona gestorben sind - es sind im Augenblick sehr viele.

Da frage ich mich schon, woran das liegt und es MUSS auch dort wieder verschiedene Gründe geben, denn ansonsten würde der Virus woanders ja auch so viele Todesopfer hervorrufen. Es müssen besondere Bedingungen in NY vorherrschen, die woanders so nicht gegeben sind.

Ich habe keine abschließende Meinung zu diesem Thema und gebe auch keine Wertung ab. Ich versuche nur darüber nachzudenken, weshalb es in New York City so viel dramatischer aussieht als in anderen Orten der Welt.

Zunächst ein paar allgemeine Angaben:

In NYC sterben jedes Jahr um die 150.000 Menschen an den Top 7-Todesursachen.

Diese sind Herzerkrankungen, Krebs, unbeabsichtigte Unfälle/Verletzungen, chronische schwächere Atemwegserkrankungen (englische Abkürzung CLRD), Schlaganfall, Lungenentzündung/Influenza (zusammengefasst) und Diabetes.




Das sind also im Schnitt etwa 411 pro Tag. Mit allen Abweichungen nach oben und unten. 

Der Tag mit den meisten "Corona-Toten" in New York brachte etwa 800 Fälle. Darin wäre ein Teil der "normalen" 411 Toten schon enthalten, denn auch NY zählt alle Toten, die infiziert waren, automatisch zu den "Corona-Toten", unabhängig von der tatsächlichen, finalen Todesursache. Wir hätten also einige hundert Fälle mehr als "normal", dazu noch die Fälle der anderen Tage, die auch über dem Durchschnitt lagen.

Welche Gründe könnte es dafür geben? Zunächst einmal kommt einem die Bevölkerungsdichte in den Sinn.

In New York leben etwa 8,4 Mio Menschen auf einer relativ kleinen Fläche. Etwa 2,5 mal so viele Menschen wie in Berlin auf einer kleineren Fläche als in Berlin. 

Viele Menschen auf geringer Fläche führen naturgemäß zu vielen Infizierten. Am 10.04. gab es in NYC etwa 162.000 positiv getestete Fälle. Dass es also bei mehr Infizierten auch mehr Todesfälle gibt, ist logisch. Bleibt noch die erhöhte Todesrate.

NYC ist gekennzeichnet durch riesige Unterschiede in der Einkommens- und Vermögensverteilung. Es ist durch fast alle Länder der Welt beobachtbar, dass der Gesundheitszustand in den niedrigeren Einkommensgruppen schlechter ist als in den höheren Einkommensgruppen.

Ich habe folgenden interessanten Artikel gefunden, der genau das zum Thema macht:


Er ist in englisch und ich fasse mal die wesentlichen Aussagen zusammen:

Schon völlig unabhängig von Corona ist die Lebenserwartung im unteren Quartil der Einkommensschichtung viel geringer als im oberen Quartil.

Im unteren Teil sterben 244,8 von 100.000 New Yorkern unter 65 Jahren, im oberen sind es nur 113,9. Weniger als die Hälfte als bei den ärmeren Bevölkerungsteilen.

In den ärmsten Gegenden, etwa in Brownsville, Brooklyn (durchschnittliches Einkommen bei 16.499 USD und nur 1% weißem Bevölkerungsanteil) liegt die Lebenserwartung bei 75,6 Jahren - die niedrigste in NY. Und das liegt nicht nur an Bandenkriegen, sondern eben auch an besonderen gesundheitlichen Zuständen.
Demgegenüber liegt die Lebenserwartung in Greenwich Village und Soho (durchschnittliches Einkommen bei 121.326 USD und fast 75% weißer Bevölkerung) bei 86,7 Jahren -  die höchste in der Stadt.

Die jüngsten Zahlen der Stadt zeigen, dass Brownsville am härtesten von dem Virus betroffen ist und Greenwich Village und Soho am wenigsten.

Allein am Virus kann das nicht liegen, denn das macht keinen Unterschied zwischen arm und reich.

Diabetes als eine der Vorerkrankungen, die Covid 19-Patienten zum Risikofall einer schweren Erkrankung machen, ist ebenfalls in den niedrigen Einkommensvierteln der Stadt viel mehr vertreten.

Elizabeth Pathak, eine Epidemiologin und Präsidentin eines Gesundheitsforschungsinstitut sagt treffend: "Wenn du wohlhabend bist, fährst du nicht mit dem öffentlichen Nahverkehr."

Das stimmt zwar nicht generell, denn viele wohlhabende New Yorker pendeln täglich in Innenstadt zum Arbeiten mit dem Zug und der U-Bahn oder dem Bus, aber im großen statistischen Maßstab stimmt das wohl.

Sie sagt weiter:

"Aber wenn du zur Arbeiterschicht in NY gehörst, dann lebst du in größerer Menschendichte an jedem denkbaren geografischen Punkt deines Lebens. Es beginnt morgens mit dem Weg ins Bad, deine Wohnung ist überfüllt, der Nahverkehr ist überfüllt, die Arbeit ist überfüllt, die Schulen sind überfüllt."

Okay, all das gilt auch für die deutsche und europäische Mittel- und Unterschicht, aber in NY konzentriert sich diese eben besonders. Nirgends sind die Unterschiede so groß wie im Big Apple. Und viele Menschen leben wegen der hohen Mieten tatsächlich eng zusammen auf wenig Raum. In den wohlhabenderen Gegenden Brooklyn's oder Queens' sieht die Lage etwas anders aus.

Auch wenn die Aussage der Epidemiologen in ihrer Absolutheit sicher übertrieben ist, so ist doch ein wahrer Kern darin. Eine relativ arme und weniger gesunde Schicht konzentriert sich an bestimmten Orten und das Virus hat es dort leichter, am Ende wegen der schlechteren gesundheitlichen Bedingungen in den ärmeren Vierteln.

Ich denke, nach allem, was ich bisher gelesen und recherchiert habe, erscheint mir der Verweis auf die schlechtere allgemeine Gesundheit in den ärmeren und ärmsten Vierteln New Yorks ein sehr plausibler zu sein, hinsichtlich der Gesamtzahlen an Betroffenen und Todesfällen in der Stadt und hinsichtlich dieser auffälligen Ausnahmesituation im Vergleich mit anderen Gegenden.

Und mir selbst kam noch ein weiterer Gedanke, der ebenfalls einen kleinen Anteil haben könnte. Es handelt sich sozusagen um einen zufälligen und unglücklichen, zeitlichen Aspekt.

Das Corona-Virus brach ja nicht, wie jedes Jahr die Grippe, Anfang Herbst in Asien aus und löste dann die übliche Grippewelle im Rest der Welt aus. Es ist ja auch kein Grippe-Virus, sondern nur eines mit sehr ähnlichen Symptomen. Der Ausbruch kam also zusätzlich und zu einem willkürlichen Zeitpunkt.

Es erreichte uns ja erst verspätet, im Februar und März und die USA offenbar noch später als bei uns. Das Virus brach ja einfach so aus, durch einen zufälligen Übergang vom Tier auf den Menschen irgendwo in Wuhan (wenn man der offiziellen Ansicht glaubt). Als es bei uns ankam, war die jährliche Grippewelle schon über ihren Höhepunkt hinaus und das Virus traf also auf eine Bevölkerung, die zum Teil eh schon geschwächt war durch die jährliche Grippewelle. Auch dieses Jahr gab es wieder mehrere Millionen Arztbesuche wegen Grippe und grippalen Infekten.

Was also, wenn Corona z.B. in New York wie eine zweite "Influenza"-wirkt und dort auf eine bereits von der ersten Grippewelle leicht geschwächte Bevölkerung traf, von der ein großer Teil auch noch durch prekäre Einkommens- und Gesundheitsverhältnisse geprägt ist, die sich auf sehr engem Raum konzentriert?

Das könnte zumindest die dramatischen Zustände in NYC erklären. Denn auch die "normale" Influenza fordert in NY jedes Jahr zwischen 4.500 und 5.000 Toten. 

Bis jetzt sind es in NYC über 5.000 "Corona-Tote". Die Zahlen sind derzeit leicht rückläufig. Und am Ende könnte es wie eine zweite schwere Grippewelle gewesen sein, die auf eine vorbelastete Bevölkerung traf.

Könnte das sein?



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