Sonntag, 19. April 2020

Der Glaube ist stabil




Die "Corona-Krise" zeigt es wieder: der Glaube der Menschen in die Fähigkeiten der Politik ist stabil.

Die Regierungen greifen hart durch und die Umfrageergebnisse werden besser.

Merkel und Söder bekommen Zustimmungswerte wie lange nicht mehr. Und das erst, seit sie ihr anfängliches Zögern in der Krise beendet und drastische Maßnahmen eingeleitet haben.

Die Leute wollen offenbar mehrheitlich "starke Anführer".

Warum ist das so? 

Ich glaube, es gibt zwei Gründe. Einer ist offensichtlich und der andere eher hinter- und tiefgründiger.

Der erste Grund ist: viele Menschen benötigen tatsächlich eine Art Führung und Verhaltensanweisung im Leben. Sie sind zu selbstständigem, eigenverantwortlichen Handeln nicht in der Lage. Das war schon immer so und wird immer so bleiben und zum Teil kann man es den Menschen nicht verübeln. Unser Leben wird immer komplexer und keiner, wirklich keiner kann die Gesellschaft, in der wir leben, in seiner Gesamtheit überblicken und beurteilen. Und in solchen Situationen suchen sich Menschen Ratgeber und das betrifft in unterschiedlichem Ausmaß jeden von uns, denn jeder kommt irgendwann mal in eine Situation, in der er nicht mehr weiter weiß.

Nun ist das System, in dem wir leben, nun mal so wie es ist und die "Ratgeber" sind die, die wir gewählt haben.

Doch aus welchen Gründen auch immer... diese Leute sind keineswegs die Art von "Ratgebern", an die wir uns eigentlich wenden würden, wenn wir Kompetenz und Lebenserfahrung und besonderes Verantwortungsgefühl erwarten. Aber sie sind halt da. Und wir nehmen halt die, die da sind. Und das sind Politiker.

Politiker sind aber genauso wenig in der Lage, die Lebenssituation eines Einzelnen zu beurteilen und entsprechend Hinweise zu geben, wie jeder andere fremde Mensch auch. 
Das liegt im Wesen der Politik. Sie ist keine feine Klinge, sondern ein Breitschwert. Politik kann entweder nichts tun oder drastisch drauf hauen.

Erst haben Merkel und Spahn und Söder abgewartet, dann haben sie Millionen Menschen in ihrer Lebensgrundlage beeinträchtigt. Völlig unabhängig vom individuellen Zustand und nebenbei auch völlig unabhängig von unabhängiger Beratung.

Und seit sie "drauf hauen", steigen die Umfragewerte wieder an.

Der zweite Grund ist tiefgründiger. Ich denke, dass viele Menschen unterbewusst nicht damit klarkommen, dass die Welt nicht nur gut ist, sondern dass auch schlimme Dinge passieren, auf die wir keinen Einfluss haben.

Die Menschen wollen keine schlechten Dinge, sie wollen nicht, dass Schlimmes passiert und viele können mit der Vorstellung nicht leben, dass solche Dinge passieren können, denn es könnte ja auch einmal sie selbst treffen und dann wären sie weitgehend hilflos.

Aus diesem (Un)bewusstsein über die eigentliche Hilflosigkeit des Menschen in bestimmten Situationen sehnen sich sich nach jemandem, der das Böse und Schlechte verbannt oder zumindest seine Auswirkungen verhindert.

Jeder Ruf nach dem "starken Staat" ist im Prinzip eigentlich nichts weiter als der Ruf nach jemandem, der eine bestimmte oder diffus gefühlte Bedrohung von einem fernhält. Weil man weiß, dass man nicht viel machen kann, wenn einen zum Beispiel ein Virus wirklich hart trifft. Und davor haben Menschen Angst. Sie wollen nicht ausgeliefert sein und können mit dem Fakt, dass wir weitgehend noch immer der Natur ausgeliefert sind, nicht umgehen. Sie wollen diese Tatsache nicht akzeptieren.

Menschen wollen nicht, dass ihnen selbst, ihren Kindern, ihren Eltern oder Großeltern, Freunden und Bekannten etwas passiert und sie hoffen auf jemanden, der die Gefahr von ihnen fernhält.

Deswegen suchen sie jemanden, der durchgreift und vielleicht verhindert, dass es einen selbst trifft.

Und dabei ist es auch völlig egal, ob die Maßnahmen irgendwas bringen. Hauptsache, der Retter handelt. 

Handelt er nicht und es passiert etwas, sagt man: siehst du, hättest du mal gehandelt.

Handelt er, und es passiert trotzdem etwas, sagt man: okay, aber du hast alles versucht.

Und darauf setzt Politik. Politik zeigt Gefahren, erzeugt Ängste und bietet Universallösungen an. Oder auch nur Lösungsversuche.

Oder sie wittern Ängste der Bevölkerung und nehmen diese auf und bieten ebenfalls Universallösungen an.

Politiker sind abhängig von den Stimmungen in der Bevölkerung und den Medien. Politik agiert nicht, sie reagiert auf Stimmungen. Ob es etwas bringt oder nicht, ist egal und stellt sich erst später heraus.

Und aus unerfindlichen Gründen wird Politikern eine Handlungskompetenz auf jedem möglichen Gebiet zugeschrieben. Auch wenn ein Herr Spahn schon daran scheitert, sich eine Mundschutzmaske richtig aufzusetzen.

Und aus irgendeinem Grund nehmen die meisten Menschen den Politikern Fehlversagen nicht übel. 

"Sie haben es halt versucht und sich Mühe gegeben und wollten ja nur das Beste für die Menschen."

Und da viele Menschen selbst keine Lösungen für ihre Probleme haben, sind sie eben dankbar, wenn es ein anderer versucht, auch wenn er dann erfolg- oder glücklos bleibt.

Außerdem werden jeden Tag Menschen geboren und somit entwachsen auch jeden Tag Menschen dem Kindesalter, also dem Alter, in dem man noch abhängig ist von anderen und wenig eigene Entscheidungen trifft. Jeden Tag kommen Menschen an den Punkt, an dem sie eigenverantwortlich leben und ihre eigenen Entscheidungen treffen müssen. Und dann kommen die beiden Gründe zur Wirkung, die ich oben genannt habe.

Ob das so stimmt, weiß ich nicht, aber ich bin der Meinung, dass es stimmt.

Der einzige Ausweg liegt darin, dass die Menschen lernen und akzeptieren, dass das Leben Risiko bedeutet und Überraschungen bereithält, die einen auch mal hilflos zurücklassen und die niemand von ihm fernhalten kann. Schon gar nicht Politiker.

Aber leider werden Politiker alles tun, diese Illusion aufrecht zu erhalten.




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