Mittwoch, 23. März 2016

Je suis je

Heute sind wir mal Belgien! 

Schnell ein "Je suis Belgien" auf die Pinnwand gehauen und das Profilfoto mit der belgischen Flagge unterlegt und dann weiter mit dem Alltagsgeschäft.

Wir haben ja gezeigt, dass wir Mitleid mit den Opfern haben und den ganzen Terror irgendwie auch total blöd finden. Das reicht. Letztens waren wir Paris, morgen sind wir vielleicht Berlin.

Unabhängig davon, dass solche Betroffenheitsverlautbarungen oft von denselben Leuten kommen, die beteuern, dass das alles mit dem Islam nichts zu tun hat und man nun deswegen ja nicht plötzlich AfD wählen kann (denn die instrumentalisieren die Opfer ja nur für ihre Politik), wundert mich diese Betroffenheitskultur in den sozialen Netzwerken schon eine Weile.

Was soll das bringen? Wem nützt das? Okay, ich kann halbwegs nachvollziehen, dass Facebook oder Twitter ein Ventil für Emotionen sind. Aber wieso artet das immer mehr in Trauerorgien mit letztlich wildfremden Menschen aus?

Viele sagen jetzt, diese Trauerbekundungen wären pure Heuchelei. Und das ist es auch. Bewusst oder unbewusst.

Was ist denn Trauer? Trauer ist doch nicht einfach die Traurigkeit, dass irgendjemand gestorben ist. Sowas passiert jeden Tag millionenfach auf der Welt. Jeder weiß das und jeder weiß auch, dass sehr viele dieser Tode keine natürliche Ursache haben. Trauern wir deshalb jeden Tag mit all den Toten weltweit? Nein. Wir hätten da viel zu tun und wären innerhalb kurzer Zeit wahnsinnig ob der schlimmen Dinge in der Welt.

Trauer ist die Traurigkeit über den Verlust der Nähe eines geliebten oder nahestehenden Menschen. Wir wissen, dass er uns nie mehr begegnen wird und wir ihn vermissen werden. Trauer ist eine persönliche Angelegenheit! Trauer setzt Nähe voraus. Trauer dauert auch lange. Trauer ist für eine gewisse Zeit ein permanenter Gefühlszustand. Man kann da nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Aber genau das tun all die Facebook-User. Sie schalten den Rechner oder das Smartphone ab und sind wieder in ihrer realen Welt. Ein Trauernder kann nicht einfach abschalten und sich seinem anderen Leben widmen. Die Trauer ist für eine Weile sein Leben.

Deswegen sind die inbrünstigen Trauerbekundungen Heuchelei! Kein Mensch, außer den hinterbliebenen Angehörigen und Freunden kann Trauer empfinden, wenn irgendwo auf der Welt fremde Menschen sterben. Man kann vieles empfinden angesichts der Geschehnisse in Brüssel. Wut! Mitgefühl mit den Angehörigen, weil man sich in die Situation hineinversetzen kann, jemanden zu verlieren! Ohnmacht! Resignation! Kampfeswille! Aber Trauer? Ich trauere jedenfalls nicht. Die Opfer spielten in meinem Leben keine Rolle und ich werde sie künftig nicht vermissen. Ich empfinde Mitgefühl, Wut und Ohnmacht, aber Trauer nicht.

Nun mag das eine akademische Diskussion um Worte sein, ob die Verfasser der Trauerbekundungen eventuell etwas anderes meinten als Trauer und es nur nicht richtig ausgedrückt haben. Aber angesichts der massenhaften Trauerbekundungen und dabei ganz vorneweg von unseren Politikern, die sich gegenseitig mit Emotions-Superlativen übertreffen, kann man schon mal genervt sein und diese Trauerorgie kritisieren. Zumal, wie schon eingangs gesagt, diese Trauerbekundungen oft von Leuten kommen, die danach die Ursache der Trauer, nämlich islamische Terroranschläge, auf teils abenteuerliche Weise relativieren.

Manche sagen auch, man würde durch die Trauerbekundungen Solidarität mit den Angehörigen zeigen. Wirklich?

Die öffentlich verbreitete Trauer mit fremden Menschen nützt den Hinterbliebenen der Opfer gar nichts!

Oder glaubt irgendwer, dass die Hinterbliebenen heute oder in den nächsten Tagen ihren Facebook- und Twitteraccount checken und nachzählen, wieviele Menschen den Tod ihrer Lieben betrauert haben?

Es wird ihnen auch kaum Trost bringen, dass halb Europa mittrauert. 

Persönliche Schreiben von Bekannten und Freunden oder Menschen, die ähnliches erlebt haben... das hilft den Menschen sicher, aber ein Spruch bei Facebook? Nein.

Manche sagen, man müsste den Terroristen zeigen, dass man sich nicht unterkriegen lässt! Ach was! Das ist so ziemlich die dämlichste Begründung! Solche Leute glauben sicher auch, dass man einen Angreifer dadurch abwehren kann, indem man nur laut genug "Stop! Es reicht!" ruft. Auf die berühmt-berüchtigte "Armlänge" Abstand geh' ich jetzt mal gar nicht weiter ein.

Den Terroristen ist es ziemlich egal, wieviele Facebook-User einen Trauerflor um ihr Profilbild hängen. Sie werden sich davon nicht beeindrucken lassen. Denen ist alles egal! Sie fürchten nicht den Tod bei einem Selbstmordanschlag, sie fürchten nicht unsere Justiz, wenn sie geschnappt werden. Sie fürchten gar nichts, außer, nicht als Märtyrer ins Paradies zu kommen. Und sie kennen nur einen Richter: Allah! Und diese Wahnsinnigen soll man mit Facebook-Sprüchen beeindrucken können? Lächerlich!

Diese Facebook-Sprüche reihen sich nahtlos in die bei Linken so beliebten und gleichzeitig sinn- und wirkungslosen "Zeichen" ein, die man setzen muss. Lichterketten, selbstgebastelte Schilder, Plakatwerbungen und Konzerte gegen Rechts und all dieser ganze linke Aktionismus, der nur dem persönlichen Zeitvertreib dient, bei dem man sich mit Gleichgesinnten gegenseitig auf die Schulter klopft und sich bestätigt, was für ein guter Mensch man doch ist.

Also weder den Hinterbliebenen noch den Terroristen kann man damit irgendeine Botschaft übermitteln.

Bleiben nur die "Trauernden" selbst. Was sagt es über sie aus, wenn sie öffentlich ihre Trauer bekunden. Eigentlich nichts! Denn dass das, was in Brüssel passiert ist, schrecklich ist und Mitgefühl mit den Hinterbliebenen erzeugt, ist eine menschliche Selbstverständlichkeit. Jeder normale Mensch empfindet das so. Niemand müsste das öffentlich bekunden! Als Ventil für Wut, Ohnmacht oder Mitgefühl kann ich das ein Stück weit nachvollziehen. In Zeiten vor Facebook hat man sich über schreckliche Vorfälle auch ausgetauscht. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass zum Beispiel am 11. September ein Freund oder Kollege zu mir den Satz gesagt hätte: ich trauere um die Opfer. So einen Satz zu sagen, wäre lächerlich gewesen! Aber es bei Facebook schreiben geht wohl. 

Diese Trauerorgien sagen aber am Ende doch etwas aus. Sie sind ein Zeichen für die Bedeutungslosigkeit und Beliebigkeit geworden. Und zwar für die Bedeutungslosigkeit und Beliebigkeit unserer Begriffe. Wenn Politiker sich gegenseitig überbieten, um ihren Gefühlszustand zu beschreiben, muss das so enden. Der erste "verurteilt " etwas, dann muss der nächste das schon "scharf verurteilen". Der Dritte muss dann mindestens mit "Ich verurteile das auf Schärfste" kontern. Danach kommt das "Verurteilen auf's Allerschärfste". Und in dieser gruppendynamischen Psychotherapie erfahren wir dann am Ende von unseren Politclowns, dass die Anschläge in Brüssel "unmenschlich" und "feige" und "hinterhältig" waren. Herr Riexinger von den Linken weiß sogar, dass es "Mord" war.

Ach was! Ja, was soll es denn sonst sein?  Wer braucht diese Erklärungen oder Belehrungen durch Politiker? Vor allem, wenn die Politiker dieselben Worte oder ähnliche Superlative wählen, wenn mal jemand laut über Grenzsicherung nachdenkt oder sich von seinem Partner scheiden lassen will. Ohne Superlativ kommen Politiker heute nicht mehr aus. Früher hat sich ein Kanzler abends vor die Kamera der Tagesschau gestellt und dem betroffenen Volk mit angemessen ernster Miene unsere Anteilnahme und Unterstützung zugesichert.

Heute reicht das nicht mehr aus. Vielleicht sind es am Ende auch nur Schreie nach Zuneigung. "Seht her, ich trauere richtig doll! Ich muss ein guter Mensch sein! Gefällt Euch mein Post? Drückt bitte auf "Gefällt mir"!

Wann hat diese "Kultur" des  öffentlichen Seelenstriptease eigentlich begonnen? Ich glaube, es muss in den 90ern mit Margarethe Schreinemakers begonnen haben. Sie war die erste, die Menschen mit ihrem persönlichen Leid in unsere Wohnzimmer gezerrt  und mit ihnen vor laufenden Kameras geheult hat. Hatte sie nicht damals den Beinamen "Heulsuse" der Nation? Den hat ihr danach Claudia Roth erfolgreich streitig gemacht. Einen Angriff auf die Titelträgerin startete danach noch Klima-Claus vom ZDF mit seiner herzzerreißenden Busfahrer-Story, welchen Claudia Roth jedoch erfolgreich abgewehrt hat.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen