Mittwoch, 20. April 2016

Nackt im Wind...

Jan Böhmermann hat sich eine Auszeit genommen. Anfangs war unklar, wie lange, nun will er im Mai wieder weitermachen.

Er wolle, dass sich das Land wieder auf die wirklich wichtigen Dinge konzentriere, denn es gäbe schließlich bedeutendere Themen als ein Gedicht in einer Satiresendung. Soweit, so richtig.

Aber: wenn das wirklich seine Absicht gewesen wäre, hätte er länger pausieren sollen, denn auch in drei oder vier Wochen werden alle Medien wieder gespannt auf ihn und seine Sendung starren und das Gedicht wird weiter ein Thema bleiben. Diese kurze Auszeit wird nicht ausreichen, dass das Thema verschwindet.

Für mich ist seine kurze Auszeit eher die Offenbarung, dass er dem öffentlichem Druck, den provokante Satire auslösen kann, nicht standhält. Er ist eben kein Satiriker! Er ist ein Provokateur. Ein Unterhalter. Einer, der sich selbst für's Publikum zum Affen macht. Aber er ist kein Satiriker! Er hat sich etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt, ist raus gefallen und stand plötzlich draußen im Wind. Und er hat den Wind nicht ausgehalten.

Obwohl er seine Sendung schon vorher einige Jahre lang produziert hat und er auch in dieser Zeit nicht gerade zimperlich mit seinen "Satire-Opfern" umgegangen war, hatte er nie Gegenwind gespürt. Kein Wunder, hat er sich doch immer die "richtigen" Gegner ausgesucht, zuletzt vor allem die, die irgendwie nicht mit der sogenannten "Flüchtlingspolitik" der Kanzlerin zufrieden waren.

Richtige Satiriker oder Zyniker hätten anders reagiert. Denn sie wären sich vorher bewusst gewesen, was ihre Worte auslösen können und hätten die Reaktion erwartet. 

Und richtige Satiriker suchen sich Ziele, die man sonst nicht so leicht treffen kann. Sie müssen mutig sein und die Reaktionen aushalten können. Die AfD zu veralbern ist nicht mutig. Böhmermann hat sich bisher immer leichte Gegner ausgesucht. Alles was er als Reaktion erwarten konnte, war der Beifall des jungen, studierten und weitgehend lebensunerfahrenen Studiopublikums sowie des Feuilletons. 

Nun bekam er einmal richtig Gegenwind und er macht sich aus dem Staub.

Ein Harald Schmidt hätte nach so einem "Skandal" sicher keine Auszeit genommen. Er hätte eher noch eine Sondersendung gemacht. Aus Istanbul. Mit einer Liveschalte zu einer Gruppe anatolischer Ziegenhirten, um sich vom unbefleckten Zustand der Ziegen zu überzeugen. Und während der Sendung hätten leichtbekleidete Gaultier-Models Döner verteilt.

Böhmermann ist einfach untergetaucht. Nun ja...

Zu seinem "Gedicht" ist schon so ziemlich alles gesagt worden. Auch von jedem.

Ich habe es mir jetzt noch einmal im Original-Ausschnitt aus seiner Sendung angesehen.

Zwischendurch schafft es immer wieder irgendjemand, das Video bei Facebook oder youtube hochzuladen, bis es schnell vom ZDF wieder gelöscht wird.

Klar, die ganze Dramaturgie dieses Vortrags macht deutlich, dass es sich natürlich nicht um eine tatsächliche Beleidigung des türkischen Präsidenten und des türkischen Staates handelt. 

Niemals würde Herr Böhmermann oder irgendein anderer Komiker diese Orgie von Fäkalausdrücken ernst meinen. Dafür war es offensichtlich viel zu überzeichnet. Kein Mensch glaubt, dass der türkische Präsident eine Vorliebe für Zoophilie hat oder dass seine Kronjuwelen eine olfaktorische Irritation auslösen, die an Döner erinnert. Woher sollte Herr Böhmermann auch wissen, wie die Luft zwischen Erdogans Beinen ist. 

Auch alle anderen Vorwürfe sind so absurd überdreht, dass kein Mensch sie ernst nehmen kann. Diesem eher fragilen Anzugträger, der sich ein wenig männliche Härte lediglich durch seinen Bart zugelegt hat, nimmt man diese Ansammlung von Kraftausdrücken eh' nicht ab. 

Herr Böhmermann wollte nicht beleidigen, er wollte provozieren. Und zwar nicht den türkischen Präsidenten, sondern Aufmerksamkeit! Und das ist nun mal nicht strafbar. Der Klage auf Basis von § 103 StGB kann er wohl gelassen entgegen sehen.

Das Gedicht ist aber natürlich auch keine Satire, wie manche dem Nichtsatiriker Böhmermann wohlwollend unterstellen wollen. Und gar von Kunst sprechen in diesem Zusammenhang wohl auch nur die Leute, die es auch für Kunst halten, wenn sich jemand im "Superman"-Kostüm auf einen Tretroller stellt und laut "ficken" schreit.

Für mich sind drei Dinge an diesem "Skandal" bemerkenswert und alle drei Dinge sind peinlich.

Das erste ist, dass es so eine Ansammlung von Fäkalausdrücken überhaupt in eine Sendung schafft, deren Macher sich wahrscheinlich für Vertreter der intellektuellen Schicht des Landes halten. 

Nicht, dass man sowas nicht senden kann. Die Frage ist eher, wieso keiner der Entscheidungsträger auf die Idee kommt, dass man sowas einfach nicht senden muss. Und zwar schlicht aus ästhetischen Gründen.

Dazu kommt, dass dieses Gedicht sprachlich nun wirklich keine Offenbarung darstellt. Jeder zweite Ghetto- oder Gangsta-Rap, sogar solche auf deutscher Sprache, schafft dieses Level locker.

Besser als alles andere, was ich zu diesem Thema gelesen habe, ist übrigens dieser Beitrag eines ehemaligen "Titanic"-Chefredakteurs:

Das Unflätige breitet sich aus

Das zweite peinliche an der Sache ist die Reaktion des "Opfers". Ein souveräner Staatspräsident hätte, wenn er überhaupt auf so etwas reagiert hätte, geantwortet: 

"Was? Welcher Köter hat da gekläfft? Böhmermann? Nie gehört, egal. Haben wir ein wichtiges Thema?" 

Putin zum Beispiel hätte eventuell müde gelächelt. Eine Rakete auf das ZDF-Studio zu schießen, ist keine Option, also dann lieber ignorieren.

Das dritte peinliche ist die Reaktion unserer Kanzlerin. In vorauseilendem Gehorsam rief sie den türkischen Präsidenten mehrfach an, um sich für das Gedicht zu entschuldigen und ihm zuzusichern, dass man entsprechend reagieren werde.

Kann man dieses Amt und das Land, welches man vertritt, mehr der Lächerlichkeit preisgeben? Kann man deutlicher seine Unterwürfigkeit zeigen, als diese Chefin einer Regierung?

Dass sie die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nun genehmigt hat, ist wohl ihre erste richtige Entscheidung in dieser Sache. So macht sie deutlich, dass in einem sogenannten Rechtsstaat wie Deutschland immer noch die Justiz entscheiden soll, was ein Verstoß gegen Gesetze ist und was nicht. Die Politik soll darüber nicht entscheiden.

Weiterhin ist zu hoffen, dass die Justiz die Chance nutzt und der ganzen Angelegenheit wieder etwas Seriosität und angemessene Bewertung zukommen lässt. Da könnte dann am Ende eigentlich nur ein Urteil stehen, dass keine Beleidigung vorliegt und dass das pubertäre Machwerk des Herrn Böhmermann eben ein zulässige Form von Humor ist. Oder noch besser, die Staatsanwaltschaft kommt zu dem Schluß, dass es nichts weiter zu ermitteln gibt.

Zwei weitere Dinge finde ich dann zusätzlich noch interessant.

Das Eine: bisher habe ich keinerlei Reaktion aus der Ecke der homosexuellen Gleichstellungskämpfer gehört. Das wäre mal interessant. Immerhin hat ja Herr Böhmermann mit seinem Gedicht angedeutet, dass es eine unzulässige Beleidigung sein könnte, eine andere Person als schwul zu bezeichnen, wenn sie es gar nicht ist. Na wenn das keine Beleidigung oder Diskriminierung der Homosexuellen ist...

Das andere Interessante ist die Reaktion des ZDF. Dieser Vertreter des sogenannten öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat die Sendung ganz einfach aus seiner Mediathek entfernt. Nachträgliche Zensur würde ich das nennen.

Jeder private TV-Sender kann natürlich entscheiden, was er als veröffentlichungswürdig hält und was nicht. 

Nur, die Sendung war ja schon gesendet und auf youtube und in sozialen Medien machte das Video sowieso die Runde.

Und das ZDF ist eben auch nicht irgendein privater Sender. Es ist ein zwangsweise per Gebühren finanzierter öffentlich-rechtlicher Sender, der sich immer selbst zugute hält, einen besonders wichtigen Platz in unserer Medienlandschaft einzunehmen.

Der Chefredakteur des WDR hält sich und die öffentlich-rechtlichen Sender sogar für derart wichtig, dass er bei deren Zwangsgebührenbeitrag von einer "Demokratieabgabe" redet. 

Aber Meinungs- und Pressefreiheit ohne Zensur sind wesentliche Kernpunkte unserer Demokratie. Und das sollten nun gerade die öffentlich-rechtlichen Sender besonders vermitteln.

Vielleicht sollte das ZDF den Fall Böhmermann mal dazu benutzen, über sein Selbstverständnis nachzudenken. 

Das ZDF sollte schließlich irgendwann mal wieder ein Sender werden, der für Meinunsvielfalt und -freiheit ohne Zensur steht. Das ging dem Sender und seinen Verwandten aus der ARD in den letzten Jahren der gemütlichen und üppig finanzierten Hofberichterstattung spürbar verloren.

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